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Sonntags im Café

Eine Stadt am anderen Ende von Deutschland. Sie ist immer noch ein guter Freund, den ich gerade besuche. Irgendwie sitze ich hier wie in einer Zwischenwelt, einer Art Limbo, Niemandsland. Das ist hier nicht mehr mein Zuhause, aber wo ist das eigentlich genau? Manchmal wünschte ich, ich könnte einfach zurück in die Vergangenheit an diesem Ort, als irgendwie alles noch geordneter, klarer erschien. An den Punkt, bevor ich zu meiner Suche aufbrach, mit unklarem Ziel. Eine Teetasse vor mir, die Aussicht aus den riesigen Fenstern auf alte Gemäuer, eine gemütliche Sitzbank, birgt das nicht schon alles, was ich eigentlich brauche? Soviele Geschenke hat dieses Wochenende bereits gebracht und irgendwer in mir schreit immer noch "Mehr! Mehr! Es reicht noch nicht!" oder auch "Weniger davon, das mag ich nicht, das muss weg!". Eine Pyramide mit Tee getaucht in heisses Wasser, das sich gold mit grünem Schimmer färbt, erfrischend läuft die warme Flüssigkeit über die Zunge langsam im Körper hinab. Dieser Moment ist echt und im Jetzt, ich versuche, ihn mit allen Sinnen zu erfassen, noch genauer hinzuschauen, noch mehr zu enthüllen, ihn voll auszukosten. Die kleinen Dampfwölkchen, die aus dem Tee emporsteigen. Die Menschen hier sehen, fühlen, was mag sie hierhergebracht haben? Einige sind mit der Familie da, einige schreiben wie ich, andere sitzen vor ihrem Getränk. Sind sie einsam, war es in ihrer Wohnung zu leer? Oder vielleicht auch zu voll? Sind sie wie ich Pilger aus einer Zwischenwelt, vielleicht nur auf der Durchreise? Meine Hände sind warm, mein Gesicht fühlt sich kühl an, ein wenig komme ich an, beginne, mich behaglich zu fühlen. Bin trotzdem ein bisschen neidisch auf eine Gruppe, die sich unterhalten, miteinander lachen, auch wenn ich ihre Sprache nicht verstehe.

 

Die Wahl des Platzes war gut, es ist angenehm still und doch belebt, man kann gut allein sein, ohne allzusehr aufzufallen. Ein Sonntag wie aus dem Bilderbuch für einen Cafébesuch eigentlich, mit Wetter, das eher für gemütliche Zeit innen einlädt. Indiemusik, die mich daran erinnert, dass ich wieder viel mehr Musik hören sollte, das ist viel zu kurz gekommen die letzte Zeit. Dabei nährt es das Herz, baut eine Art Schutzschild von Geborgenheit auf, durch den düstere Gedanken vor der Tür gehalten werden. Mein Schreiben wechselt ab mit dem Lesen eines Buches über das Schreiben (Anmerkung: Natalie Goldberg "Writing down the bones"). Der Satz, dass Schreiben als Hauptziel das Vertrauen in den eigenen Körper und Geist hat, berührt mich sehr. Vielleicht deckt Schreiben für mich tatsächlich tiefere Ebenen auf, eine Meditation auf Papier, still, aber bedeutungsvoll, auch wenn die Gedanken manchmal profan, unspektakulär sind. Zweifel im Hintergrund, ob das hier nicht nur einfach belangloses Geschwätz ist, Papierverschwendung. Und doch dabei das Gefühl, dass es ungeheuer wichtig ist, überlebensnotwendig. Die Worte fließen, wie diktiert, kaum ein Nachdenken, nur Schreiben, Schreiben, Schreiben. Alles rauslassen, was sich bisher nicht ans Licht getraut hat. Es wird alles mit dem Fluß herausgespült, kraftvoll, reinigend. Ein Stück blauer Himmel ist aufgerissen, vielleicht ein Zeichen, einfach den Stift weiterzubewegen, notfalls das ganze Notizbuch vollzuschreiben, wenn es so sein soll. Mein Kloß im Hals ist da, irgendwas Altes rührt sich im Hintergrund. Ich versuche, es nicht herunterzuschlucken, es da sein zu lassen. Ich bin gerade nicht bereit, hier aus voller Kehle loszuweinen, auch wenn es eigentlich nichts ausmachen würde. Ich kann immer nur ein paar Zeilen aus dem Buch lesen, bevor mich die Emotionen überschwemmen. Ein wunderbarer Vergleich im Buch: Schreiben und das Schreiben ohne Ziel als liebende Arme, in die man sich fallen lassen kann, alles sein, sagen und fühlen darf, was gerade präsent ist. Kein Filter, kein Zweifel, dass irgendwas nicht willkommen ist. Keine Rücksicht darauf, was es bei anderen auslöst, denn das Papier kann alles liebevoll entgegennehmen, ohne es später als Waffe gegen den Sender zu verwenden. Ohne getroffen zu werden von einer ungeschickten Formulierung. Ist es vielleicht auch das, was Zuhören ausmacht? Sein wie Papier, leer, geduldig, Raum lassen. Offen für alles, was kommen möchte, was den Geist, vielleicht auch den Körper beschäftigt. Wie eine Reinigung des Kanals, durch den dann die Kreativität wieder ungehindert fließen kann, die Lebensfreude nicht mehr durch emotionale Schlacken blockiert wird, das Licht nicht durch ungeputzte Fensterscheiben gedämpft wird.

 

Gerade fühlt sich alles absolut zeitlos an, als wenn die Ewigkeit nun das Zepter übernommen hat. Es könnten Stunden, vielleicht auch Tage oder Wochen, Jahre vergangen sein, ich weiß es nicht mehr. Ein Blick auf die Uhr könnte die Illusion zerstören, also lasse ich das lieber. Schreiben, einfach weiterschreiben, nie aufhören. Sich irgendwo zwischen den Worten verlieren, vielleicht verewigt als Komma oder kleiner I-Punkt. Wissen, dass man damit einen wichtigen Platz ausfüllt, dass jeder Buchstabe, jedes Satzzeichen, jede Leerzeile gleich wichtig ist, für das Gesamte genau das beiträgt, was sonst fehlen würde. Es ist gut, hier zu sein. Findet das Wetter auch, die Sonne ist herausgekommen und schon sehen die Leute viel fröhlicher aus. Erstaunlich, was ein bisschen mehr Licht so ausmacht. Könnte man einfach ins eigene Innere aufnehmen, damit wie Kompost den inneren Boden der Kreativität anreichern, Material einbringen, das dann wächst, verarbeitet wird. Bis irgendwann ein Impuls auf diesem Boden einen Text erblühen lässt oder ein Lied, ein Bild.

 

Gemütlich ist es jetzt, nur noch wenige andere sind außer mir noch hier, der graue Himmel ist wieder da, aber ich bin nun weit entspannter, das gefällt mir. Nun ist mein Gesicht warm, fast fiebrig, ein Glas voller Minze in heißem Wasser steht vor mir. Sanfte Gitarrenklänge begleiten den Sonntagnachmittag, ein Indie-Cover von einem Lied, was ich vor Jahren mal auf Dauerschleife gehört habe. Eine Welle von Frieden schwappt über mich, das wilde Meer hat sich beruhigt, liegt jetzt glatter da, sanfte Wellen reflektieren das gedämpfte Licht. Ich fange gerade an, den Tag zu genießen, es fühlt sich mehr nach mir an, ein entspanntes Sein, in dem die Gefahren des Lebens nicht auf einem Podest stehen. Licht, Schatten, Krieg, Frieden, alles im rasanten Wechsel. Alles davon lieben, wissen, dass nichts davon bleibt. Jede Wahrnehmung, jedes Erlebnis ernst nehmen, sie als Ausdruck des eigenen Lebens wertschätzen. Wahrnehmungen und Erlebnisse eines Menschen, der diese Welt bewandert und erkundet, die Facetten beleuchtet mit aller Leidenschaft, Weisheit und Unschuld, die in diesem Moment zur Verfügung stehen. Manches bezeugt durch andere, manches erlebt wie von einem einsamen Fischer in seinem Boot, einen wunderschönen Sonnenaufgang vor Augen mit dem Wunsch, das zu teilen, was doch nie komplett geteilt werden kann.

 

Ein schreibender Mensch sagt "Ja" zum Leben, zu allem, was da ist: nicht nur zu dem, was schön und wunderbar ist, sondern auch zu dem, was die Kehle zuschnürt, Angst vor dem Sterben macht, Entsetzen hervorruft über das, zu dem Menschen fähig sind, was für Leid existiert. Der eigenen Selbstgerechtigkeit ins Gesicht blicken, den eigenen Eigenschaften, für die man sich schämt, die man niemandem zeigen und zumuten will. Da zu bleiben, wenn man eigentlich rennen will. Gehen, wenn man sich eigentlich festhalten will, weil alles so perfekt ist. So wie im Café jetzt, ich habe die Etage nun für mich, es gibt keinen perfekteren Platz im Moment. Mein Papier ist geflutet mit dem Licht der abendlichen Sonne, ein wunderbares Licht. Ich würde nun gerne malen können, wie sich die Sonnenstrahlen durch meine Brille auf dem Tisch spiegeln, den Schattenwurf der Zuckerdose, den Basilikum, der in der fast leeren Suppenschale schwimmt, tiefes Grün in einem satten Orange. Stattdessen verabschiede ich mich aus diesem Sonntagszufluchtsort, im vorsichtigen Vertrauen, bisher den richtigen Weg gegangen zu sein, den nächsten richtigen Weg zu finden, auch morgen wieder genau an dem für mich perfekten Platz zu sein.

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